Mich fröstelt immer noch. Mittlerweile bin ich schon 4000 Kilometer weit gekommen. Bei der Abreise habe ich noch meinen Freund Mario „Rübe“ Rübsam getroffen – ein Künstler aus Eisleben. Er wird wohl für lange Zeit der letzte Eisleber sein, den ich umarmen durfte. Deswegen hier ein kleines Erinnerungsbild.
Dann ging es los, wie schon über 500 Mal habe ich an dieser Stelle an der Halleschen Straße in Eisleben auf einen Lift gewartet. Oft war dies das Ziel und nicht der Beginn der Reise. Auch die Mitteldeutsche Zeitung hat mich bei der Abfahrt fotografiert. Den Artikel dazu könnt Ihr hier lesen.
22. Januar 2015- Zweiter Tag auf dem Weg ins Eis
Vor etwas mehr als 48 Stunden habe ich Halle verlassen. Seither habe ich nicht geruht. Ich bin immer weiter mitgefahren oder habe mich um einen Lift bemüht. Aber ich war auch sehr erfolgreich damit. Bereits in den ersten 24 Stunden habe ich es bis zur russischen Grenze geschafft, kurz hinter Riga in Lettland. Vorher habe ich Polen und Litauen durchreist. Um ein Visum für Weißrussland habe ich mich nicht bemüht. Die Beantragung ist kompliziert. Das hätte alles kostbare Zeit gekostet, in der mein Russlandvisum abläuft. Für Russland habe ich nur ein 30-tägiges Touristenvisum bekommen. Bei meiner Einreise in Buratschki an der Grenze mit Lettland waren es nur noch 28 Tage und ich weiß nicht, was mich erwartet. In vielerlei Hinsicht. Ich kann die Bedingungen für das Reisen hier nicht einschätzten. Nicht meinen Umgang mit sehr tiefen Temperaturen, nicht die Transportsituation, nicht in wen und wo ich mich verliebe. In die Landschaft, in die Leute oder in wen oder was auch immer. Also habe ich ein Tempo eingeschlagen, wie es sich für den deutschen Trampmeister gebührt und bin in 35 Stunden von Halle nach Moskau gefahren. Ich bin als schon in der Hauptstadt Russlands. Leider gibt es dieses Mal kein Bild auf dem Roten Platz, sondern nur ein Foto von mir vor ein paar tristen Wohnblocks, wie sie überall am Stadtrand in Ostdeutschland oder Osteuropa stehen. Glaubt es oder nicht, es ist Moskau!
13 Autos habe ich dazu gebraucht und davon waren nur die ersten 2 Deutsche, ab dann musste ich erst französisch reden, dann nur noch Russisch. Und es gelingt, besser als ich dachte. Mir fallen Worte ein, die ich irgendwann einmal in der Schule oder auf meinen vergangenen Reisen durch Russland gelernt habe und die ich tief in meinem Kopf verschollen glaubte. Der Rest wird improvisiert oder mit den Armen gefuchtelt.
Günstiger Wechselkurs statt Dollar des Ostens
In Moskau angekommen habe ich die wichtigsten Dinge erledigt, die man als Tramper in einem neuen Land tun muß. Ich habe eine Zahnbürste gekauft (leider, denn diejenige, die ich zu Hause vergessen habe, wäre noch für 3 Weltreisen gegangen), ich habe einen Straßenatlas von ganz Russland gekauft und Geld aus dem Automaten gezogen. Übrigens erfahre ich die guten Seiten des Embargos gegen Russland: der Wechselkurs des Rubels zu Euro ist gut wie nie, 70 Rubel bekommt man für einen Euro. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, da war der Rubel der Dollar des Ostens und mit 3 Ostmark sehr wertvoll.
Moskau war die erste Herausforderung, das war klar. Erst einmal hat sich das Wetter ab Warschau ein wenig gegen mich gestellt. Schnee und Wind bei nass-ekligen -3 Grad. Das ermattet. Naja, kann einem aber in einem deutschen Herbst schließlich auch passieren. Aber die größere Angst habe ich vor einen Mega-Metropole wie Moskau wegen der Verkehrssituation, die ich nicht einschätzen kann. Zwar bin ich vor 6 Jahren schon einmal dorthin getrampt, aber damals einfach in die Stadt gefahren. Dazu bedarf es nichts. Hinein kommt man immer. Drumherum oder gar heraus ist dagegen immer ein Abenteuer. Diesmal habe ich mich, wegen der drängenden Zeit, für das Drumherum entschieden. Dafür hatte ich mir in meinem imaginären Fahrplan einen Tag eingeplant. Einer der wenigen Pläne, die ich habe. Es hat allerdings nur 3 Stunden gedauert, dann war ich an der ersten Ausfahrtsstraße vom Ring, Richtung Wladimir. Die Straße, die ins Ungewisse, in die Kälte führt. Nach Osten – nach Sibirien. Hoffentlich führt sie für mich auch nach Westen-nach Amerika! Ich rutsche ja so gesehen an der anderen Seite der Weltkarte wieder rein.
Unglaublich freundliche Menschen
Weiter ging es gleich vom Autobahnstau, ohne erst zu einer Raststätte zu laufen. Alles unproblematisch, schnelles Umsteigen, viel geschenktes Essen, Tee und Kaffe. Die Menschen sind unbegreiflich freundlich. Eine Freundlichkeit, die mir immer wieder auf der ganzen Welt entgegenschlägt. Und immer wieder macht sie mich glücklich, macht sie ein Reisen, wie das meine überhaupt möglich, macht sie mich betroffen. Kann ich überhaupt jemals so viel geben, wie ich in meinem Leben schon empfangen hab?
Einmal hat mich eine Frau gefragt, die auf dem Weg ins Krankenhaus, zu ihrem Mann war (das Foto seiner Verletzungen war nichts für einen schwachen Magen), ob ich Geld brauche. Das ist schon verrückt. Ich erzähle, dass ich aus Deutschland komme und Lehrer bin und die Leute bieten mir ihr letztes Hemd. Entweder sehe ich wirklich so schäbig aus oder die Freundlichkeit kennt keine Grenzen.
Außerdem bin ich die letzte Nacht 700 Kilometer mit 2 Männern aus Tadschikistan gefahren. Sie waren Moslems. Natürlich haben sie mich gefragt, ob ich Christ oder Moslem bin. Später im Gespräch ging es darum, ob ich einen Freund in Russland besuche. Als ich zu ihnen sagte, dass sie die einzigen Freunde seien, die ich hier habe, haben sie erwidert: werde Moslem und wir sind deine Freunde. Also sind wir doch nur als Bekannte auseinander gegangen. Die beiden waren auf dem Weg in ihre Heimat, noch 4000 Kilometer weit entfernt, als wir uns trennten. Verrückt, welche Reisen, welche Strapazen die Menschen auf sich nehmen.
Die Temperatur sinkt weiter – mittlerweile auf -17 Grad
Da sind wir beim Thema. Inzwischen bin ich über 600 km hinter Moskau, kurz vor Kazan. Ich habe nie lange auf einen Anschluss warten müssen, ich bin noch nicht viel gelaufen aber ich habe schon viel gefroren. Inzwischen ist die Temperatur auf -17 Grad gesunken. Es liegt seit Warschau ununterbrochen Schnee. Es ist zwar windstill aber eisig. Fast alles, was ich an Sachen hergetragen habe, habe ich inzwischen angezogen aber irgend ein Körperteil bleibt immer kalt. Wärmemanagment ist wohl die wichtigste Aufgabe, die ich hier neben einer guten Trampstrategie bewältigen muss. Als ich zu Hause abgereist bin, waren in Magadan, dem ersten Ziel meiner Reise (12.200 Kilometer von Eisleben) -32 Grad. Aber es kann noch viel kälter werden. Wie ich das ertragen soll, ist mir noch nicht klar. Meine Nase war heute bereits so kalt, dass ich sie nicht mehr gespürt habe. Nun ist sie zwar wieder aufgetaut aber irgendetwas hat sie wegbekommen. Ich hoffe, sie wird nicht knollig und rot und mit kleinen geplatzte Äderchen durchsetzt. Aber mir bangt vor dem, was vor mir liegt. Ich bin weit über 2500 Kilometer in 2 Tagen gereist – aber das Ungewisse, das Einsame, das Eisige und das Gefährliche liegt noch vor mir.
Nun habe ich mir eine halbe Stunde des Rastens, der Ruhe und der Wärme gegönnt, um wieder hinauszugehen in die Dunkelheit. Die Kälte und die Aufgabe hier wegzukommen? Ungewiss. Wohin? Ungewiss. Wo ich die Nacht verbringen werde? Ungewiss. Wie sehr ich frieren werde? Ungewiss.
Ich sehne mich nach einem Bett aber ich weiß, diese Sehnsucht lässt sich noch steigern.
Übrigens mußte ich in den letzten 2 Tagen schon 3 mal die Uhr umstellen. Zum Glück habe ich keine mit.
Lieber Gregor…….weiterhin viel Freude auf deiner Tour…….ganz liebe Grüße
Sylvana
nochmal danke für deinen schönen interessanten Vortrag
httpss://www.youtube.com/watch?v=GedhLjNyzEE
eine musikalischen Gruß an dich!